SURYA NAMASKARA
Der Sonnengruß
Im Fluss der Bewegung
Du gleitest von einer Position in die nächste und konzentrierst dich ganz auf das Rauschen deines Atems. Nun gut, nicht nur in Anfängerkursen ist es manchmal auch ein Keuschen. Der Sonnengruß ist in vielen (Hatha)-Yogastilen fester Bestandteil zur Vorbereitung des Körpers auf die einzelnen Stellungen, Asanas. Die Muskeln sind erwärmt und der Kreislauf ist angeregt, du bist wach und präsent.
Fast jeder Yogastil hat seinen eigenen Sonnengruß. Dazu kommen noch die Varianten für Schwangere, Anfänger, Gehandicapte oder Fortgeschrittene. Mir fallen so 10 bis 20 verschiedene Sonnengrüße ein und für mich habe ich je nach innerem Ziel und Laune meinen Lieblingssonnengruß.
Begegnung von Dynamik und Stille
Fast schon Paradox finde ich die kraftvolle Bewegung und die Anregung des gesamten Körpers und dennoch spüre ich eine große innere Ruhe. Ähnlich wie beim Joggen. Die ersten Meter braucht mein Körper um sich an die Anforderung zu gewöhnen und dann kommt manchmal eine innere Stille. Im Sonnengruß begegnet mir diese Stille immer, solange ich mich in meinem Atem bewege und ich mich ganz auf mich konzentriere. Meditation in der Bewegung.
Gruß an den Sonnengott
Es gibt keine älteren schriftlichen Überlieferungen des Sonnengrußes. In alten Texten steht etwas von einem Mantra zu dem Sonnengott Surya und auch einer Bewegungs-Praxis, aber keine Anleitung. Surya bezeichnet eine Personifizierung der Morgen- und Abendsonne, Mittagssonne wäre Savitri. Sonne ist der männliche Aspekt des Seins, im Deutschen etwas verwirrend. Die weibliche Entsprechnung ist Chandra Namaskara der Mondgruß. In vielen alten Kulturen ist der Mond dem Weiblichem zugeordnet.
Raja von Aundh
Wahrscheinlich wurde der Sonnengruß vor etwa 100 Jahren vom Raja von Aundh (1868–1951) ins Leben gerufen oder wiederentdeckt. Der Raja war so begeistert von der erstaunlichen Wirkung des Sonnengrußes, dass er ihn als Pflichtfach in der Schule einführte. Sein Sonnengruß besteht aus zehn Einzelstellungen. Swami Sivanandas (1887-1963) Gruß ist ähnlich. Hier gibt es zusätzlich zwei stehende Haltungen (Position 2 und 11 – Hasta Utthanasana). Ein weiterer Urheber ist wahrscheinlich T. Krishnamacharya (1888-1989). Sein oder seines Schülers K. Pattabhi Jois (1915 – 2009) Sonnengruß A und B aus dem Ashtanga-Yoga zählen wohl zu den bekanntesten Abfolgen.
Der Sonnengruß ist im 3.500 bis 10.000 Jahre alten Yoga wahrscheinlich eine recht junge Praxis. Spirituelle oder geistige Wirkungen sind von den Entdeckern nicht überliefert. Was ja nicht heißen soll, dass es keine gibt. So dient der Sonnengruß erstrangig der körperlichen Fitness und der Erwärmung vor der eigentlichen Yoga-Praxis. Es ist ja nicht überall auf der Welt so warm wie in Indien.
- 108 -
Warum 108?
Wir praktizieren manchmal die Sonnengrüße 108-mal. Auch Mantras werden für ihre maximale Wirkung 108-mal gechantet. Warum gerade diese Zahl?
Der Ursprung des Yogas liegt höchstwahrscheinlich in Indien und dort spielen kulturell Hinduismus und Buddhismus eine große Rolle. In beiden Weltanschauungen ist 108 eine heilige Zahl. Hinduistische Gottheiten haben 108 Namen. So gibt es 108 Namen von Vishnu, Krishna, Ganesha usw. Auch die im Hinduismus und Buddhismus benutzte Mala (Gebetskette) besteht aus 108 Perlen. Viele traditionelle Yogaschriften, wie Veden oder Upanischaden sind in 108 Kapitel unterteilt.
In der Sprache Thailands bedeutet 108 eine unbeschreiblich große Anzahl von Dingen. 108 ist eine Harshad-Zahl, das heißt, sie ist durch ihre Quersumme teilbar (108 : 9 = 12).
Der Durchmesser der Sonne hat den 108-fachen Durchmesser der Erde und der Abstand von der Sonne zur Erde beträgt 108-mal dem Durchmesser der Sonne.
Schaffe ich das?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Viel wichtiger ist dabei zu sein. Ein vorrauseilender imaginärer Schwächeanfall darf auch ignoriert werden. Möglicherweise ist es gut nach 20 eine Pause einzulegen oder in der Gruppendynamik die eigene Komfortzone völlig neu zu definieren. Du darfst verschiedene Prozesse in dir beobachten, wie Begeisterung, Erschöpfung, Wiederwille, Gleichmut, Freude … eine wunderbare Reise durch das eigene Ego.
Ist das Sport?
Diese Frage stellt sich nicht nur bei 108 Sonnengrüßen. Sport ist das Training von Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination. Dies trifft auch auf den Teil des Yogas zu, den wir als Hatha-Yoga bezeichnen. Also dem Yoga, welcher im westlichen Kulturkreis hauptsächlich bekannt ist.
Hatha ist Sanskrit und lautet übersetzt so viel wie körperliche Anstrengung. Eine weitere Ansicht ist die Einheit & Harmonie von Sonne (ha) und Mond (tha) als weiblicher und männlicher Aspekt des Seins. In meinen Augen ist „Hatha“ zusammengeschrieben und ich tendiere daher eher zur ersten Version. In dieser Form des Yogas wird das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist durch Körper- und Atemübungen angestrebt. Kommen Mantras hinzu, ist es eine Mischform aus Hatha und Bhakti-Yoga. Bhakti ist der Weg der Hingabe.
Gibt es einen Unterschied zum normalen Sport?
Was unterscheidet Hatha-Yoga, gerade in dieser sehr sportlichen Variante, von reinem Sport? Von zehn Yogalehrern wirst du möglicherweise zehn verschiedene Antworten erhalten. Hier jetzt also eine weitere von mir.
Möglicherweise liegt es am Yogaübenden oder halt Yogatrainer. Ich durfte schon an einigen Sportstunden mit Yogaelementen teilnehmen und sicher habe ich auch schon die eine oder andere Stunde gegeben. Selbst das OM am Anfang oder/und Ende konnte da nichts retten.
Ich bemühe mich immer wieder zu Beginn der Yoga-Praxis bewusst meinen Atem wahrzunehmen. Diesen Rhythmus nehme ich in der Bewegung auf und lasse mich so durch die Praxis führen. Wenn mir dies gelingt, das ist für mich Yoga. Meditation in Bewegung. Mit der Zeit blende ich das Außen vollkommen aus und bin nur noch bei mir. Dieses Gefühl „des zu sich kommen“ versuche ich auch in meinem Unterricht zu integrieren. Da jeder Mensch ein individuelles Atemtempo hat, immer eine interessante Aufgabe.
Ab und zu mal Bhakti in die Yogastunde zu integrieren ist ok, aber nicht ganz so meins. Auch wenn ich gern mal mit Mantras praktiziere. Hier vertrete ich die Ansicht, dass Spiritualität nicht im Außen, sondern im Innen entsteht. Das ist halt meins und es darf ruhig viele verschieden Menschen mit vielen verschiedenen Ansichten geben. Und so gibt es auch viele verschiedene Arten des Yogas. Für jeden ist etwas dabei.
Om Shanti
- ZUM ÜBEN -
Position | Mantra | |
---|---|---|
Pranamasana Namaská |
Om Mitraya Namaha |
Ich verneige mich vor dem Göttlichen in der Sonne, das liebevoll zu allen ist. |
Hasta Uttanasana Stehende Rückbeuge |
Om Ravaye Namaha |
Ich verneige mich vor Ihm, der die Ursache allen Wandels ist. |
Hasta Padasana Vorbeuge |
Om Suryaya Namaha |
Verehrung jenem, der Aktivität herbeiführt. |
Ashwa Sanchala Sprinterstellung |
Om Bhaanave Namaha |
Gruß an ihn, der Licht verbreitet.. |
Ashtanga Dandasana Schiefe Ebene |
Om Khagaya Namaha |
In Demut gebeugt vor Ihm, der sich im Himmel (über den Wolken) bewegt. |
Ashtanga Namaskara Acht-Punkt-Stellung |
Om Pushne Namaha |
Verehrung Ihm, der alle nährt. |
Bhujangasana Kobra |
Om Hiryanyagarbhaya Namaha |
In Demut gebeugt vor Ihm, der allen Wohlstand enthält. |
Parvatasana Berg (da bekannter aus anderen Yogastilen auch Adho Mukha Shvanasana Herabschauender Hund) |
Om Marichaye Namaha |
Verehrung Ihm, der Strahlen besitzt. |
Ashwa Sanchala Reiterstellung |
Om Adityaya Namaha |
Ich verneige mich vor Ihm, der der Sohn von Aditi ist. |
Hasta Padasana Stehende Vorbeuge |
Om Savitre Namaha |
Verehrung Ihm, der verehrungswürdig ist. |
Hasta Uttanasana Arme erhoben |
Om Arkaya Namaha |
In Demut gebeugt vor ihm, der alles von neuem erschafft. |
Tadasana Bergstellung/Grundhaltung |
Om Bhaskaraya Namaha |
In Demut gebeugt vor Ihm, der die Ursache des Leuchtens ist. |